
Wenn Du Dich näher mit Synästhesie beschäftigst, wirst Du früher oder später auf Bezeichnungen für Untergruppen wie etwa sensorische, kognitive, metaphorische oder genuine Synästhesie stoßen.
Dahinter steckt das Bedürfnis, die Fülle an Synästhesie-Arten in einen Rahmen zu packen, um sie u.a. besser vergleichen und untersuchen zu können.
Ich fand die Unterteilungen vor allem am Anfang erst mal verwirrend und schwer zu verstehen.
Meine mentale Bildmasse, die die Synästhesie als Thema für mich auf meinem inneren Monitor darstellt, ließ sich mit den genannten Konzepten nicht so richtig klar aufdröseln.
Solche Bilder haben für mich dann eine Unruhe, die ich als störend empfinde.
Im Klartext heißt es nämlich für mich, dass ich entweder etwas noch nicht ganz verstanden habe oder dass etwas im Konzept nicht erfasst wurde oder nicht stimmig ist.
Aus dem Grund hatte ich mich bislang darauf beschränkt zu verstehen, was die einzelnen Synästhesie-Beschreibungen meinen.
Das allumfassende große „Synästhesie-Bild“ habe ich eben außen vor gelassen.
Neue Einteilung nach Cytowic
Der bekannte Synästhesieforscher Richard E. Cytowic hat mit „Synesthesia“ 2018 ein kleines Buch* herausgebracht, in dem er in einem Kapitel nun eine gänzlich neue Einteilung vorschlägt.
Die habe ich mir vor kurzem näher angeschaut und ich finde den Ansatz sehr schlüssig, weshalb ich ihn hier teilen möchte.
5 Gruppen
Cytowic stellt 5 Gruppen1 heraus, in die sich die verschiedenen Synästhesiearten auf neue Art zuordnen lassen (weiter unten gebe ich jeweils ein Beispiel):
1) Aneinanderreihungen in Farbe
Englisch: colored sequences
Damit ist gemeint, dass geordnete Abfolgen wie z.B. das Alphabet, Zahlen, Wochentage oder Kalendermonate ein synästhetisches Farberlebnis auslösen.
2) Musik in Farbe
Englisch: colored music
Hier sind es musikalische Merkmale wie z.B. Noten, Akkorde, Tonarten, Tonhöhe, Instrumente, Rhythmen, die ein synästhetisches Farberlebnis auslösen.
3) Gefühlsbezogene Wahrnehmung in Farbe
Englisch: affective perceptions / colored sensations
Bei diesem Punkt kommen Gefühle mit ins Spiel:
- Ein bewusster gefühlter Eindruck zu Persönlichkeiten führt zu einem synästhetischen Farberlebnis.
Oder - eine Art gefühlter „Kontakt“ (wie Schmerz, Zärtlichkeiten, Orgasmus, Temperatur, Emotionen) führt zu einem synästhetischen Farberlebnis.
Oder - eine Vorliebe für etwas oder eine Abneigung gegen etwas, das man schmecken oder riechen kann, führt zu einem synästhetischen Farberlebnis.
4) Nicht-visuelle Verkopplungen
Englisch: nonvisual couplings
Hier in diese Gruppe gehört nun jede Verbindung eines Sinnes oder Konzepts, das NICHT zu einem visuellen synästhetischen Erlebnis führt.
Also alle Synästhesien, die keine Farben oder synästhetische Bilder hervorrufen.
5) Räumliche Sequenzen
Englisch: spatial sequences
Hier lösen gelernte Abfolgen, wie z.B. das Alphabet, Zahlen, Wochentage oder Kalendermonate nicht – wie unter Punkt 1 angegeben – einen Farbeindruck aus (das kann natürlich zusätzlich auftreten), sondern zeigen sich im dreidimensionalen Raum als Gebilde.
Farbsynästhesien sind eindeutig im Vordergrund
Vielleicht ist Dir aufgefallen, dass die in den ersten 3 Gruppen beschriebenen Auslöser jeweils zu einem synästhetischen (Farb-)Erlebnis führen.
Nur werden eben – anders als bisher – die Auslöser auf andere Weise gruppiert. Nämlich in Aneinanderreihungen, in musikalische Merkmale und in Gefühlsbezogenes.
Ein Beispiel pro Gruppe
1. Gruppe (Aneinanderreihungen):
Ein Wochentag, z.B. Donnerstag –> ist z.B. eine bronzefarbene Fläche
2. Gruppe (musikalische Merkmale):
Die Tonart D-Dur –> ist z.B. gelb unterlegt
3. Gruppe (Gefühlsbezogenes):
Eine Schmerzart, z.B. Kopfschmerzen –> sind ein grell gezacktes Orange
Als synästhetische Wahrnehmung zeigt sich also in jeder dieser drei Gruppen jeweils ein Farberlebnis.
Die 4. Gruppe fasst die übrigen sensorischen Synästhesien zusammen, bei denen kein Farberlebnis entsteht.
Also wenn durch einen Auslöser etwa Geruch, Geschmack, Klang oder ein Druckgefühl auf der Haut aufkommt.
Der Name des Kollegen „Schmidt“ löst dann z.B. einen Geschmack nach rohen Erbsen aus oder macht ein drückendes Gefühl an den Handgelenken, rote Farbe klingt vielleicht nach G-Moll etc.
Die 5. Gruppe vereint schließlich alle Abfolgen, die sich synästhetisch in eine räumliche Struktur abbilden.
Viele Synnies beschreiben die Woche als kreisrunden Schlauch. Die Woche beginnt etwa mit dem Montag links unten und setzt sich über den Kreis fort. Donnerstag ist dann vielleicht in der Mitte oben und Sonntag unten neben dem Montag.
Oder das Kalenderjahr wird oft als U-Form gesehen, bei dem der Januar links oben und der Dezember rechts oben sitzt.
Oder die Zahlen 1-10 steigen auf einem Zahlenstrahl steil an, die Zahlen 10-20 bilden aber eine Ebene nach rechts hinten, die nächsten Zahlen liegen versetzt dazu wieder links etc.
Hat jede Gruppe etwa eine andere Ursache für die Entstehung von Synästhesie?
Das ist nun Cytowics Vermutung.
Über 19 000 Synästhetiker stellten ihre Daten zu Verfügung, auf deren Grundlage sich die 5 unterschiedlichen Gruppen herausbildeten.
Nun haben Synästhetiker meistens nicht nur eine Form von Synästhesie, sondern gleich mehrere Arten.
Das Interessante ist hier nun, warum manche Synästhesiearten häufig zusammen vorkommen und andere wiederum nicht.
Da die Gruppen statistisch unabhängig voneinander sind, könnte ein jeweils eigener Entstehungsmechanimus dahinter stecken.2
Bei so vielen Synästhesiearten kann ein neuer logischer Überbau
„zu einem umfassenderen Verständnis synästhetischer Verbindungen führen, indem grundlegende Beziehungen innerhalb bestimmter Muster aufgedeckt werden“ 3.
Es bleibt also spannend, was die Forschung hier noch herausfindet.
Einfach zu verstehen?
Ich persönlich kann mit dieser neuen Idee der Einteilung gut etwas anfangen. Sie erscheint mir einleuchtend und auch meine mentale Bildmasse dazu sieht synästhetisch nicht so verwirrend aus, weil es leicht zu verstehen ist. Das kann aber ein rein subjektives Empfinden sein.
Was hältst Du von dieser neuen Einteilung?
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