Unter „Sequenz-Raum-Synästhesien“ kannst du dir spontan vielleicht erstmal noch nicht so viel vorstellen. Tatsächlich gibt es aber mehr Leute mit dieser Synästhesieform als zunächst gedacht.
Wenn man nach der Top-25-Liste gehen würde, zählt sie dort sogar zu den zweithäufigsten berichteten Synästhesiearten (Zeiteinheiten -> Sehen).
Mir wurde diese Synästhesieform jedenfalls erst bewusst, als ich für eine Terminabsprache die Tage meiner Woche ganz selbstverständlich mit den Fingern halbkreisförmig in der Luft „abgezählt“ habe und von einer Freundin darauf hingewiesen wurde. ;- )
Sequenz und Raum
Mit „Sequenz“ ist eine Abfolge oder Reihe von etwas gemeint. Das können zum Beispiel Zahlen, Buchstaben oder sehr häufig auch Zeiteinheiten wie Stunden, Tage, Monate, Jahrhunderte sein. Also etwas, das im Allgemeinen als Teil einer Reihe betrachtet wird.
Der „Raum“ bezeichnet schließlich einfach die Ausdehnung, in der das Ganze stattfindet. Also zum Beispiel eine Anordnung der Zahlen 0-100 in einer bestimmten Form um deinen Körper herum.
Das kann in deiner Wahrnehmung wiederum als immer gleiches Gebilde vor deinem inneren Auge oder tatsächlich anschaubar außerhalb von dir passieren.
(Mehr zu diesem Unterschied innerhalb-außerhalb gibt es hier im Artikel „Projektor oder Assoziator?“)
Je nach Synästhetiker sehr verschieden
Der Bildeindruck von Sequenz-Raum-Synästhesien kann schließlich sowohl in flacher Ausprägung vorkommen (zweidimensional, wie wenn es auf Papier gedruckt ist) oder meistens aber dreidimensional als Gebilde, das sich in den Raum erstreckt.
Auch die Größe ist völlig individuell. Manche Synästhetiker sehen z.B. das Alphabet in Reihen schön kompakt vor ihrem Bauch, manche müssen den Kopf nach oben strecken, um es sich ganz anzuschauen.
Interessant ist, dass die Wochentage und die Monate im Jahresverlauf sehr häufig als (ovaler) Kreis oder in einem großen „U“ wahrgenommen werden.
Vielleicht hast auch du eine feste Form im Kopf, wenn du die aktuelle Woche im Kopf überblickst?
Der Montag ist links unten, der Donnerstag ist recht schmal oben in der Mitte und das Wochenende ist schön breit rechts am Rande des ovalen Ganzen.
Oder vielleicht nehmen bei dir Zahlen oder Buchstaben einen bestimmten Verlauf im Raum ein?
Erstmal geradeaus, dann ein Knick nach hinten..
Beim Abzählen folgst du den Zahlen oder Buchstaben ganz selbstverständlich ihrer Lage im Raum.
Auch hier gilt wieder als typisches Merkmal bei Synästhesien:
Diese Formen im Raum ändern sich im Grunde nicht und sind beständig.
Wer die Tage der Woche in einem großen Kreis angeordnet vor sich sieht, wird nicht plötzlich an einem anderen Tag die Wochentage in Zickzackform wahrnehmen.
Mehrere Bezeichnungen
Im Englischen werden die Sequenz-Raum-Synästhesien unter dem Begriff Spatial-Sequence-Synesthesia zusammengefasst (spatial für räumlich, dreidimensional und sequence für Abfolge, Reihenfolge, Sequenz).
Auch taucht hin und wieder das Wort Form auf, da in dem Fall auf die Form hingewiesen werden soll, die eine solche Sequenz im Raum einnehmen kann.
Je nachdem wie präzise man das Konzept einkreist, hat es einen anderen Namen. Das kann auch mal kurz etwas verwirrend sein.
Jedenfalls sind die 3 bekanntesten Sequenz-Raum-Synästhesien folgende:
Kalender-Form-Synästhesie (Zeit-Raum-Synästhesie)
Auch: Kalender-Synästhesie; Zeiteinheit-Raum-Synästhesie
Englisch: Time-Space-Synesthesia; Calendar Synesthesia; Sequence-Space-Synesthesia
Zahlen-Form-Synästhesie
Auch: Zahlen-Raum-Synästhesie; Nummern-Form-Synästhesie
Englisch: Number-Form-Synesthesia
Buchstaben-Form-Synästhesie
Auch: Buchstaben-Raum-Synästhesie
Englisch: Letter-Form-Synesthesia; Alphabet-Form-Synesthesia
Sehr häufig kommen Zeit-Sequenz-Raum-Synästhesien in Kombination mit der Farb-Graphem-Synästhesie vor. Auch in den unten eingefügten Bildern sieht man nicht nur die Form, sondern auch eine zugeordnete Farbe.
1. Kalender-Form-Synästhesie (Zeit-Raum-Synästhesie)
Jahr und Woche
Mein Jahr mit den zwölf Monaten ist ein sehr breites „U“, das in Rechtecken unterteilt links oben mit dem Januar anfängt und dem Dezember rechts oben wieder aufhört. Juni und Juli stehen unten in der Mitte.
Jeder Monat nimmt ein Rechteck darauf ein. Da ich selten das Jahr als Ganzes überblicke oder benötige, „zoome“ ich meistens auf den oder die Monate hinein, die ich gerade brauche.
Wenn ich zum Beispiel die Frühlingsmonate anschauen will, dann fahre ich das „U“ an den besagten Monaten auf der linken Seite näher an mich heran. Ich sehe dann den Ausschnitt mit den Monaten März, April, Mai größer und besser.
Meine Woche ist dagegen ein ovaler geschlossener Ring, der sich vor mir ausbreitet. Montag ist links unten. Danach reihen sich die Tage im Uhrzeigersinn nacheinander ein. Donnerstag ist in der Mitte oben, Samstag rechts in der Kurve.
Tage und Uhrzeit
Die Tage in der Woche sind nicht gleichmäßig groß, sondern je nach Wochentag mal dicker oder mal dünner. Samstag ist zum Beispiel am breitesten.
Jeder Tag hat damit eine unterschiedliche Größe und Breite. Woher das kommt, weiß ich auch nicht. Aber es gibt Tage, die weniger Fläche einnehmen. An denen fühle ich mich dann seltsamerweise gestresster, wenn ich da viele Termine habe.
Ein Tag, der breiter ist, fühlt sich für mich machbarer an, obwohl da vielleicht genauso viele Termine drin liegen.
Ich habe schon versucht, die Größe der Tagesfläche aktiv und bewusst zu verändern (um mich eben weniger zu stressen). Aber das klappt leider nicht.
Die Uhrzeit, bzw. die Stunden des Tages sind sehr variabel. Je nachdem wie ich sie benutze.
Wenn ich den aktuellen Tag ansehe, wölbt sich die Zeit von morgens (links) bis Mittag in der Mitte relativ steil hoch, danach flacht die Zeit langsamer zum Abend (rechts) ab. In dem Fall stehe ich immer vor der Zeitstunde und sehe sie direkt vor mir als wenn ich davor stehe.
Wenn ich die Zeit aber in Bezug auf meinen Terminplan an einem Wochentag überblicke, dann liegt sie senkrecht vor mir. Oben ist morgens, unten ist abends, so wie bei vielen Kalendern. Ich schaue von außen oben drauf.
Einen Termin lege ich als quadratischen Block über die Uhrzeit des Wochentages im betreffenden Monat: also in senkrechter Anordnung (Uhrzeit) an die betreffende Stelle des Rings (Wochentag) im jeweiligen Abschnitt des „U“s (Monat).
Auch wenn das alles jetzt etwas kompliziert klingt, ich habe so meinen Kalender immer bei mir
;- )
2. Zahlen-Form-Synästhesie
Mit Zahlen und Nummern ist es ähnlich. Es gibt Synnies, die z.B. die Zahlen 0-10 senkrecht nach oben verlaufend sehen, die Zahlen 11-20 machen einen 90°-Knick nach rechts, die Zahlen 21-30 schräg nach hinten etc.
Oder die Jahrzehnte oder Jahrhunderte unserer Zeitrechnung haben einen bestimmten Verlauf. Da gibt es wirklich sehr viele Ausprägungen. Ein schönes Beispiel habe ich hier gefunden:
3. Buchstaben-Form-Synästhesie
Auch das Alphabet kann logischerweise dann eine Form und Richtung im Raum haben. So reihen sich die Buchstaben zum Beispiel kreisförmig, schlangenförmig, geradlinig oder auch ungeordnet an bestimmte Positionen.
Wie du gesehen hast, gibt es im Bezug auf die Sequenz-Raum-Synästhesien viele Ausprägungen und Möglichkeiten.
Hast du zufällig eine diese Synästhesien?
Wie schaut dein Kalender bei dir aus? ;- )