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Welcher Synnie-Typ bist Du? – Projektoren vs. Assoziatoren

Welcher Synnie-Typ bist Du? Projektoren vs. Assoziatoren

Eine Synästhetikerin erzählte mir vor Jahren einmal von einem Grillabend im Garten bei Freunden und wie ein im Hintergrund spielender Musiksong ihre ganze Aufmerksamkeit forderte.

Die Musik bewegte sich für sie als großes, violett-wolkiges Gebilde zwischen Feuerstelle und den dahinterliegenden Bäumen von rechts nach links durch die Szenerie. Sehr langsam. Wie ein Gast, der friedlich durch den Garten schlenderte.
Während sie diese Wolke und ihre Bewegungen mit ihren Händen beschrieb, fingen wir beide an, Tränen zu lachen. Die Vorstellung daran, das jemandem zu erzählen, war einfach zu witzig.

Farbenhören

Den Begriff „Farbenhören“ hast Du vielleicht schon mal gehört. Die Bezeichnung wurde vom Englischen Coloured Hearing übernommen und ist eigentlich irreführend. Es werden in dem Fall nämlich nicht „Farben gehört“, sondern es ist andersherum gemeint:
Etwa 40 % aller Synnies können etwas, das sie hören, synästhetisch sehen. Zum Beispiel erleben sie einen Klang visuell in Farben, Mustern oder bewegten Bildern.

In der Forschung mit Graphem-Farbe-Synästhetikern (also Synnies, die Buchstaben und Zahlen in Farben wahrnehmen) haben Synästhesieforscher verschiedene Typen ausmachen können.1
Diese Farbenhörer lassen sich zunächst zwischen Projektoren und Assoziatoren unterscheiden.
Fangen wir an mit den..

Projektoren2

Wie ein Filmprojektor, der das Bild aus dem Gehäuse des Gerätes nach draußen in die Umgebung wirft, erlebt ein Synästhetiker dieser Gruppe seine Synästhesie ebenfalls außerhalb von sich im realen Umfeld.

Die synästhetische Erfahrung projiziert sich in die eigene Umgebung und kann zum Beispiel auf einem Objekt, bwz. einer Oberfläche (etwa auf einem Schreibtisch) oder im Raum (etwa im Hausflur) wahrgenommen werden.
Von den Projektoren gibt es 2 Typen:

Typ 1: Der Oberflächen-Projektor3

Die Synästhesie dieses Typs projiziert sich auf die Oberfläche, bzw. direkt auf den auslösenden Stimulus. Ein gutes Beispiel ist das Sehen von farbigen Buchstaben auf dem Papier, und zwar direkt auf den Buchstaben.

Typ 2: Der Raum-Projektor4

Bei diesem Typ wird das visuelle Erlebnis in den nahen Raum außerhalb des eigenen Körpers projiziert. Das kann überall sein. Vor sich auf die Straße, in den Türrahmen, ins Zugabteil. Dorthin, wo allgemein „Luft“ ist.

Die am Anfang genannte Synästhetikerin mit der violetten Wolke vom Grillabend ist also ein Raum-Projektor. Die Wolke hatte sich im Raum zwischen Feuerstelle und Bäumen bewegt und war nicht auf der Oberfläche der Baumstämme.
(Ich habe sie übrigens gefragt, ob sie durch das Gebilde durchschauen konnte. In dem Fall war es tatsächlich so dicht, dass Teile der Bäume verdeckt wurden. Sie erlebt aber auch Synästhesien, die durchsichtig sind, meinte sie.)

Neben den Projektoren die zweite große Gruppe sind die…

Assoziatoren5

Die synästhetischen Bilder und Farben der Gruppe der Assoziatoren befinden sich in ihrem „internen mentalen Raum“.6
Von den Assoziatoren gibt es ebenfalls 2 Typen:

Typ 3: Seh-Assoziatoren7

Viele Synnies geben an, dass sie ihre Farben innerlich, vor ihrem inneren Auge oder wie auf einem Monitor sehen. Nur eben nicht projiziert in oder auf etwas in der realen Welt. Sie „sehen“ sie aber.

Typ 4: Wissens-Assoziatoren8 

Das ist die Gruppe der Synnies, die ihre Wahrnehmung nicht als „Sehen“ bezeichnen würde, sondern diese Synnies wissen, dass die Farben da sind.
Das Team um den Synästhesieforscher Ward vermutet, dass hier einige Synästhetiker dabei sind, die sich scheuen zu sagen, dass sie Farben sehen.9 Oder es fällt eventuell schwer, das „Sehen“ zu erkennen, weil es eben nicht dasselbe Sehen wie mit den Augen ist.

Anmerkung

Ich finde den Begriff „Assoziatoren“ für diese Unterscheidung hier ungünstig, weil es vermuten lässt, dass mit den synästhetischen Erlebnissen ebenfalls Assoziationen gemeint sind. Das ist aber nicht der Fall.
Es gibt sicherlich fließende Übergänge. Aber im klassischen Sinn gehören Assoziationen nicht zur Synästhesie. Sie beruhen auf etwas, das erlernt wurde oder mit etwas Erfahrenem verbunden ist.

Mischform möglich

Es gibt also 2 Typen von Projektoren und 2 Typen von Assoziatoren. Wer sich als Farbenhörer trotz dieser Unterscheidungen nicht zuordnen kann, gehört wahrscheinlich zur Mischform. Die gibt es nämlich auch noch. Diese Synnies vereinen Anteile von Assoziatoren und Projektoren oder haben eben beides.
Es kann also sein, dass ein Synnie mit dieser gemischten Form eine Telefonnummer zum Notieren gesagt bekommt und ihm die Farben der Zahlen innerlich auf seinem inneren Monitor erscheinen (intern).
Wenn er sich seine notierten Zahlen auf dem Papier dann anschaut, zeigen sich die Farben trotzdem auch direkt auf den Zahlen (extern).

Ich selbst habe z.B. erst letztes Jahr (!!, 2024) bemerkt, dass ich zwar hauptsächlich der Typ Assoziator bin, aber in bestimmten Situationen durchaus projiziere.

Projektoren vs. Assoziatoren in Prozent

Interessant finde ich, dass es mit einem Anteil von 5-11%10 doch wesentlich weniger Projektoren als Assoziatoren gibt. Gerundet ist der Anteil an Assoziatoren mit ca. 90 % also weitaus höher als der Anteil an Projektoren mit ca. 10 %.

Mich interessiert jetzt natürlich, wo Du Dich einordnest.
Welcher Synnie-Typ bist Du?

  1. vgl. Dixon et al.: 2004 und vgl. Ward et al.: 2007, vgl. auch Simner: 2013
    Ich bin der Meinung, dass sich diese Einteilung evtl. auch auf andere Synästhesieformen ausweiten lässt. Auch das synästhetische Sehen eines Geruchs oder Geschmacks kann z.B. in den Raum projiziert werden.
  2. Englisch = projectors
  3. Englisch = surface-projector
  4. Englisch = space-projector
  5. Englisch = associators oder non-projectors
  6. vgl. Simner: 2013
  7. Englisch = see-associators
  8. Englisch = know-associators
  9. vgl. Dittmar: 2007
  10. Dixon et al.: 2004
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Leser-Interaktionen

Kommentare

  1. Marina Böger meint

    um

    Hallo,

    ich bin zufällig im Politikunterricht in der Schule auf Ihre Seite gestoßen.
    Nach konzentriertem Lesen frage ich mich gerade bei diesem Post: Gibt es Synnies mit Farbenhören bzw Buchstaben in Farben sehen, die von geburt an blind sind ?
    Das würde mich wirklich sehr interessieren.

    MfG
    M. Böger – ein Synnie

    Antworten
    • Heike meint

      um

      Hallo Marina,

      willkommen!
      Das ist eine gute Frage, die Du da stellst.

      Es gibt mehr Berichte zu Synnies, die erst im Laufe ihres Lebens blind geworden sind.
      Für Personen, die von Geburt an blind sind, gibt es – soweit ich weiß – leider viel weniger Daten.

      Es gibt aber Vermutungen, dass sich synästhetische Verknüpfungen bei Blinden eher in anderen Sinnesverbindungen zeigen. Also zum Beispiel statt eine Verknüpfung ins Visuelle/Farbe, eine Verknüpfung mit Geruch, Geschmack, Sound oder Berührung.
      Es gibt auf Englisch eine wissenschaftliche Abhandlung „Visual synesthesia in the blind“ von 2004. Dort ist u.a. im Punkt 5 „Discussion“ ein bisschen etwas dazu beschrieben.

      Dazu kommt das Problem, dass jemand, der unser Farbsystem gar nicht kennt und es nie gezeigt bekommen hat, es auch nur schwer beschreiben könnte. Das ähnelt ein bisschen der Schwierigkeit, Dir den Geschmack einer Mango zu beschreiben, wenn Du noch nie eine probieren konntest. Auch wenn Deine Geschmacksnerven intakt sind und Du weißt, was ein Geschmack ist, fehlt Dir eben der reale Vergleich. Wenn Du dann eine Mango isst, würdest Du es sofort verstehen und könntest auch eine Beschreibung wiedergeben.

      Einige blinde Personen nutzen auch eine Art Echolot-Rückmeldung, in dem sie mit dem Mund ein Klicken erzeugen und sich dann durch den Rückhall orientieren. Ähnlich, wie es auch Fledermäuse tun (wenn Dich das näher interessiert: Hier in diesem Quartals-Rückblick ist ein Artikel zu „Klicksonar: Wie blinde Menschen sich mit Echoortung orientieren“).
      Trotz Blindheit kann es sein, dass das Echo visuell umgesetzt wird. Also zum Beispiel als Form oder Struktur „sichtbar“ wird. Denn Formen oder Oberflächen kennen blinde Personen ja sehr gut aus dem Alltag, wenn sie etwas berühren.

      Das ist jetzt nur meine eigene Einschätzung dazu, aber vielleicht hilft Dir das etwas weiter?

      Bunte Grüße,
      Heike

      PS: Ich hätte mich damals in der Schule bestimmt auch lieber mit Synästhesie als Politik beschäftigt 😉

      Antworten
  2. Joanna-Zoe meint

    um

    Heii, ich habe mal eine Frage an dich..
    Und zwar, sehe ich Farbpunkte bei starken Emotionen. Die Farben passen sich den Emotionen an. Nun heute war ich aus anderen Gründen beim Psychologen bzw Arzt und dieser sagte, es erinnere ihn an Synästhesie.
    Eine Diagnostik für eine Psychose habe ich schon hinter mir und die viel negativ aus. Wäre also eine Synästhesie möglich?

    Antworten
    • Heike meint

      um

      Hallo Joanna-Zoe,

      erstmal finde ich es klasse, dass dein Arzt über Synästhesie Bescheid wusste! Häufig hat nämlich auch Fachpersonal noch nie etwas von Synästhesie gehört.

      Die kurze Beschreibung, die du gegeben hast, könnte meiner Meinung nach auf eine Synästhesie-Form hinweisen, ja.
      Ich bin aber kein Arzt. Eine Art „Diagnose“ für Synästhesien zu erhalten ist aber allgemein schwierig, weil Synästhesie ja keine Krankheit ist.

      Zum weiteren Entdecken helfen dir vielleicht die Merkmale, die zum Einkreisen einer eventuellen Synästhesie im Allgemeinen herangezogen werden.

      Viele Grüße,
      Heike

      Antworten
  3. Nika meint

    um

    Hallo,
    Ich habe (glaube ich zumindest€ OPL, Graphem-Farb-Synästhesie. Bei manchen anderen Arten bin ich mir nicht sicher.
    Aber mein Frage ist:
    Gibt es eine Art von Synästhesie, bei der man bestimmte Bewegungen mit Wörtern oder Zahlen verknüpft?
    Nehmen wir zum Beispiel die Zahl 5.
    Wenn ich die höre oder sehe hab ich automatisch eine Szene im Kopf, bei der Würfel mit der linken Hand ca. 7 cm in die Luft geworfen und danach wieder gefangen werden.
    Ein weiteres Beispiel ist das Wort „gibt“.
    Was ich vielleicht vorher erwähnen sollte:
    Bei manchen Wörtern ist es ein undefinierbares Etwas, was diese Bewegung ausführt. Ich weiß nicht wie das „Ding“ aussieht was diese Bewegung macht, ich weiß nur dass es sie macht.
    Aber zurück zu unserem zweiten Beispiel.
    Bei „Gibt“ passiert eine Bewegung dieses „Dings“. Ich weiß, dass die Bewegung räumlich unter dem Wort passiert, wie als wäre man in die nächste Zeile gerückt. Die Bewegung startet unter dem großen G und verläuft im 45 zum Wort, bis zum t.
    Das Ding zischt also auf dieser Bahn unterm „Gibt“ entlang aus meinem Blickfeld hinaus.
    Ich hoffe diese Erklärung ist halbwegs nachvollziehbar 😉
    Liebe Grüße
    Nika

    Antworten
    • Nika meint

      um

      Ich meinte natürlich im 45 Grad Winkel zum Wort 🙂
      Liebe Grüße

      Antworten
    • Heike meint

      um

      Hallo Nika,

      Interessant, was du beschreibst.
      Das wäre also so etwas wie „Wort/Zahl sehen/hören –> Bewegung“-Kombination.
      Die Verknüpfung von Bewegungen mit Wörtern und Zahlen kenne ich nicht als Form von Synästhesie (was aber nicht heißt, dass es sie nicht gibt).

      Interessant ist auch, dass du die Bewegung auf deinem „inneren Monitor“ wahrzunehmen scheinst. Nicht im Körper selbst (manche Synnies sind dann geneigt, z.B. bestimmte, zugehörige Bewegungen mit ihrem Körper oder Körperteilen auszuführen, damit es „passt“).

      Sind es denn nur ein paar Zahlen oder Wörter, die sich dir so darstellen, oder passiert das generell?
      Ich frage, weil manchmal die Abgrenzung zu Assoziationen auch nicht so einfach ist.

      Wenn du magst, kannst du die Frage aber auch nochmal unserem Verein schicken (Email: info@synaesthesie.org). Da gibt es eventuell Mitglieder, die davon schon etwas gehört haben.

      Viele Grüße & Danke für’s Teilen,
      Heike

      Antworten

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