Ein Synästhetiker hört Deine Stimme nicht nur, sondern kann sie zusätzlich vielleicht noch als Farbstruktur sehen, als Duft riechen, als Geschmack im Mund haben oder auf der Haut als Berührung fühlen.
Was ist Synästhesie?
Synästhesie ist eine neurologische Besonderheit, bei der die Stimulation einer unserer Sinne zu einem zusätzlichen Erlebnis in mindestens einem weiteren Sinn führt.
Ob ein Synästhetiker das möchte oder nicht:
Diese Verkopplung und die damit einhergehende Wahrnehmung passiert automatisch und kann nicht unterdrückt werden.
Anzahl an Synästhesie-Arten
Der Synästhesieforscher Richard E. Cytowic geht von bis zu 150 verschiedenen Formen aus.1
Viele Synästhetiker haben oft nicht nur eine, sondern gleich mehrere Synästhesien. Aber es sind längst noch nicht alle wirklich dokumentiert oder erforscht.
Die häufiger vorkommenden Synästhesien findest Du übrigens hier in meinem Artikel, der Top 25 der häufigsten Synästhesie-Arten.
Meine ausführliche Übersichtsliste mit über 80 Arten kannst Du hier anschauen.
Häufigkeit
Die Häufigkeit dieses Phänomens in der Bevölkerung wird derzeit mit 4-5 % angegeben.2 3 Das bedeutet, dass unter etwa 22 Menschen ein Synästhetiker zu finden sein dürfte. Das macht im Schnitt ungefähr ein Synnie pro Schulklasse.
Und die Chance ist groß, dass – wenn es in Deiner Familie einen Synnie gibt – auch ein weiteres Familienmitglied Synästhetiker ist.
Unterteilung
Synästhesie wird oft als direkte Sinn-zu-Sinn-Vernüpfung verstanden. Das ist erstmal korrekt, weil in vielen Fällen durch die Aktivierung eines Sinnes gleichzeitig ein anderes Sinnsystem mitaktiviert wird.
Weil es die Sinnesorgane betrifft, ist damit die sensorische Synästhesie gemeint.
Das Geräusch eines aufreißenden Klettverschlusses schmeckt zusätzlich vielleicht nach Grashalmen. Der gehörte Sinnesreiz führt zu einer Wahrnehmung in einem anderen Sinnsystem, in diesem Fall zu einem Geschmack.
Allerdings gibt es noch weitere Synästhesieformen.
Diese werden nicht direkt durch einen Sinnesreiz ausgelöst, sondern durch erlernte Konzepte. Das können z.B. Gruppierungen, bzw. Sequenzen von Elementen wie Zeiteinheiten, Zahlen oder Buchstaben sein.
Diese Synästhesieformen werden der kognitiven Synästhesie zugeordnet (kognitiv bedeutet „das Denken betreffend“).
Es werden also Elemente in eine Sinneserfahrung umgesetzt, die selbst nicht von einem unserer 5 Sinnsysteme ausgelöst werden. Wochentage haben vielleicht eine Form und Farbe oder schmecken nach etwas. Sie sind selbst aber kein „Sinn“ (Einen „Buchstaben-Sinn“ gibt es ja nicht).
Die Gefühlssynästhesie bildet eine eigene Kategorie. Weder ein Sinnesreiz (sensorisch), noch ein Konzept (kognitiv) sind Auslöser für diese Synästhesieform. Die eigenen Gefühle rufen synästhetische Erfahrungen (wie z.B. Farben, Gerüche, Klänge..) hervor.
Diese Form lässt sich anders als die anderen schwieriger prüfen, weil es nicht den einen, gleichbleibenden Auslöser für ein Gefühl und dem damit entstehenden synästhetischen Erlebnis gibt.
Auf einem Klavier kann ich immer wieder denselben Ton abspielen und schauen, was passiert. Für das Aufkommen eines Gefühls spielen dagegen viele Variable eine Rolle. Die Forschung zur Gefühlssynästhesie steht noch relativ am Anfang. Für die Wissenschaft ist das eine echte Herausforderung, weil sich der Auslöser schlecht exakt wiederholen lässt.
Inzwischen wird auch eine neue Einteilung der Synästhesie-Arten diskutiert. Dazu habe ich hier einen eigenen Beitrag gemacht.
Synästhesie ist keine Erkrankung
Es gibt immer noch viele Menschen, die noch nie etwas von diesem Phänomen gehört haben. Daher dürfte es auch viele Synästhetiker geben, die ihre spezielle Form der Wahrnehmung selbst noch gar nicht einordnen können.
Auch einigen Eltern, Erziehern, Pädagogen, Psychologen oder Ärzten ist diese neurologische Besonderheit nicht bekannt.
Es kommt daher in seltenen Fällen zu Fehleinschätzungen, bei denen synästhetische Wahrnehmungen fälschlicherweise mit Halluzinationen, Wahnvorstellungen oder Psychosen verwechselt werden.
Synästhesie ist keine Krankheit, sondern einfach eine andere Form der Wahrnehmung.
„Was ist Synästhesie? Interview mit Dr. Markus Zedler“
Hier noch ein sehr informatives Video mit dem Psychiater und Synästhesieforscher Dr. Markus Zedler von der Medizinischen Hochschule, das die Deutsche Synästhesie-Gesellschaft zur Verfügung stellt:
Im Video beantwortet er die folgenden Fragen:
- Was ist Synästhesie?
- Kann man synästhetische Wahrnehmung erlernen?
- Welche Vorteile haben Synästhetiker?
- Kann man Synästhesie wissenschaftlich beweisen?
- Wie viele Menschen sind Synästhetiker?
- Wie wird das Phänomen in unserer Gesellschaft wahrgenommen?
- Inwiefern macht sich Synästhesie bei Kindern bemerkbar?
Die Deutsche Synästhesie-Gesellschaft hat außerdem im Mai 2019 die folgenden zwei Flyer aktualisiert und als PDF zum Download auf ihrer Seite bereit gestellt:
Eine schön gemachte Seite zur Synästhesie hat das denkwerk herausgebracht. Hier lässt sich Synästhesie interaktiv erleben.