In der Liste der Synästhesie-Arten sind 5 Formen von Schmerz-Synästhesien aufgeführt:
- Schmerz → Geräusch,
- Schmerz → Geruch,
- Schmerz → Geschmack,
- Schmerz → Sehen/Farbe,
- Schmerz → Temperatur.
Schmerz kann hier also der Auslöser für verschiedene synästhetische Wahrnehmungen sein.
Wenn Du eine der Schmerz-Synästhesien hast, kannst Du Deinen (eigenen) Schmerz entweder hören, riechen, schmecken, in irgendeiner Form sehen oder sogar eine spezifische Temperatur wahrnehmen.
Ich selbst kann Schmerzen „sehen“, weil sie sich mir mit Farbtönen, einer Struktur und einer Größe im Raum präsentieren.
Allerdings ist mir das erst viel später nach Entdeckung der Synästhesie (meinem Moment der Erkenntnis) aufgefallen. Ich hatte einfach nie besonders darauf geachtet, bzw. „hingeschaut“.
Es gab damals aber ein auslösendes Erlebnis, das mir sowas von die Augen geöffnet hat! Der Vorfall ist lange her, aber immer noch sehr präsent, wenn ich mich daran erinnere.
Durch Zufall herausgefunden
Beim einfachen Einräumen von Wäsche in den obersten Regalboden meines großen Kleiderschranks habe ich es tatsächlich geschafft, mir die rechte Schulter auszurenken. Mit beiden Armen überkopf versuchte ich den Wäschequader in den Schrank zu drücken. Dabei ist es passiert.
Mit diesem einschießenden wahnsinnigen Schmerz zeigte sich eines der klarsten und umfassendsten Synästhesie-Bilder, die ich je erlebt habe:
In der Mitte gab es etwas, das aussah, wie zwei fingerdicke, lange, übereinander gelegte Regenwürmer, genauso glitschig und kühl, dafür etwas fester und farblich eher wie helles Hühnchenfleisch mit unregelmäßigen Rillen darauf. Der weiter entfernte Hintergrund war wie mit fluffiger, rosaroter Zuckerwatte (nicht ganz so fest und dicht) ausstaffiert, aus der hier und da Fäden in den Raum ragten.
Dieser visuelle Eindruck war für mich trotz des Schmerzes phänomenal! Es war nicht nur ein sehr klares, dreidimensionales Bild, das meine ganze Sicht ausfüllte. Ich konnte außerdem das Bild „fühlen“ (die Konsistenz des Hintergrunds und der dicken Schnüre).
Dieser Vorfall ist auch der einzige, bei dem ich für das Gebilde in der Mitte eine Art Eindruck für Temperatur hatte. Nämlich eiskalt. Das konnte ich anfassen!
Sozusagen ein Gefühl für die Temperatur eines Gegenstandes, der sich mir durch den Schmerz synästhetisch präsentierte.
Etwas .. abgefahren, ich weiß.
Da hier aber nicht der Schmerz selbst eine Temperatur ausgelöst hatte, war das wohl eher nur ein Beiwerk zum Ganzen und keine echte Schmerz → Temperatur-Synästhesie. Ich zähle das also trotzdem nur zur Schmerz → Sehen/Farb-Synästhesie. Es kann aber gut sein, dass dieses eine Mal auch eine One-Shot-Synästhesie gewesen ist.
So ein synästhetisches Schmerzerlebnis lässt sich nach den Merkmalen von Synästhesien natürlich schlecht reproduzieren. Wer schlägt sich schon gern zwei Mal mit dem Hammer auf die Finger, um zu sehen, ob das synästhetische Erlebnis dasselbe ist.
Schmerzen, die „bekannt“ sind
Trotzdem gibt es Schmerzen, die in ähnlicher oder sogar gleicher Form immer wieder kommen:
Denke mal an Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Bauchschmerzen, Gelenkschmerzen oder Menschen mit chronischen Erkrankungen. Dir fällt bestimmt etwas ein, das Du von Dir selbst kennst.
Ich habe letztendlich durch meinen Schultervorfall verstärkt darauf geachtet, ob ich synästhetisch etwas „sehe“, wenn mir etwas weh tut. Und das war tatsächlich so.
Meine Schmerz-Synästhesien sind nicht immer so klar, wie beim Vorfall mit dem ausgerenkten Arm. Aber wenn ich z.B. aufgrund von Schlafmangel leichte Kopfschmerzen habe, „sehe“ ich dieses Ziehen als ein horizontales Gebilde mit mehreren dunklen Farbtönen und einer gelben Schliere darin.
Du könntest das noch weiter aufdröseln, wenn Du darauf achtest, wie sich Deine Synästhesie je nach Schmerzcharakter verhält:
Zum Beispiel bei einschießenden, plötzlichen Schmerzen, bei einem Pochen, einem dumpfen, langanhaltenden Schmerz, einem Brennen usw.
Durch das Beobachten habe ich im Laufe der Zeit festgestellt, dass plötzlicher Schmerz bei mir deutlichere und kräftigere Synästhesien hervorruft. Etwa wie es bei Haushaltsunfällen der Fall ist (Zeh gegen Tür, Schnitt in den Finger, kochendes Wasser über die Hand..).
Beiläufiger, unterschwelliger Schmerz wie oben genanntes leichtes Kopfweh ist dafür weniger spektakulär.
Das Schmerzbild „bearbeiten“
Wenn ich nun einen anhaltenden Schmerz wie bei einem Dauerkopfweh habe, lässt sich der Schmerz manchmal sogar verändern, indem ich versuche das synästhetische Bild aktiv zu beeinflussen.
Ich konzentriere mich dann auf die Farben und die Struktur, mache sie größer oder kleiner, trete heran oder hinein und versuche anzunehmen, was „da“ ist.
Wenn sich der Schmerz oder die Intensität verändert, lässt sich das auch in einer Veränderung des synästhetischen Bildes wahrnehmen.
Und Du?
Mich interessiert jetzt natürlich:
Kennst Du das auch? Eine der Schmerz-Synästhesien?
Gibt es jemanden, der Schmerzen hören, riechen oder schmecken kann?
Oder der etwas zur „synästhetischen Temperatur“ von Schmerzen sagen kann?
Hier dürfte nicht das bekannte Wärmegefühl wie bei Entzündungen oder Verbrennungen gemeint sein (denn das ist die natürliche Reaktion des Körpers). Daher fände ich es klasse, wenn jemand mit dieser Synästhesie aus erster Hand davon berichten könnte.
Barbara Minoguchi meint
Kann bei Schmerz oder anderen Gefühlen im Körper, Ausdehnung, Form, vor allem Farbe, Temperatur, Qualität (ausstrahlend, Festigkeit u.ä.) wahrnehmen. Das geht mir auch immer mal mit anderen so, die Schmerzen haben, wenn ich mich darauf einlasse. Dann spüre ich Kribbeln, Hitze, oder Pulsieren, Farben und Formen, wenn ich verletzte Stellen berühre. Habe mir nie darüber Gedanken gemacht. Ist einfach so.
Habe heute erfahren, dass andere nicht unbedingt Farben, Temperatur oder ä. imaginieren.
Dann fiel der Begriff Synästhesie. Typische Beschreibungen passen aber nicht so recht zu mir.
Heike meint
Hallo Barbara,
das sind auch viele Facetten, die du da wahrnehmen kannst.
Es klingt etwas nach einem Mix aus Schmerz-Synästhesie, Mirror-Touch-Synästhesie und Gefühlssynästhesie.
Die Übergänge können da auch fließend sein, bzw. ist die Abgrenzung sicherlich nicht einfach zu erkennen. Muss aber ja auch nicht ;- )
Es darf ja auch vielfältig sein.
Einen schönen Abend dir,
Heike
(13.12.2021)
Jessica meint
Seit einer Curettage aufgrund einer Fehlgeburt habe ich manchmal Unterleibsschmerzen die ich „schmecken“ kann. Es sind stichartige Schmerzen die zeitgleich mit ihrem Auftreten einen pfeffrigen Geschmack und ein brennendes Gefühl in der Mundhöhle beginnend bis in den Magen auslösen, eine leichte Übelkeit tritt dann auch auf. Völlig irre und für mich eine ganz neue Erfahrung, auch mein Kopf ist dabei betroffen, der Geschmack „strahlt“ quasi aus.
Heike meint
Hallo Jessica,
das ist natürlich kein schöner Umstand, die Synästhesie zu entdecken. Das tut mir leid.
Eventuell war diese Wahrnehmung bislang eher verborgen und ist nun erst ins Bewusstsein gerückt?
Wenn du mit dieser neuen Erkenntnis jetzt auf andere Schmerzen achtest, stellt sich da vielleicht auch ein Geschmack ein?
Ich habe viele Synästhesien und die Bandbreite erst mit der Zeit erfassen können & entdecke immer noch Neues daran ;- )
Vielleicht ist das bei dir ja auch so?
Alles Gute für dich & viele Grüße,
Heike
(30.05.2022)
NBS meint
Hallo;
wenn ich schmerzen habe, dann nehme ich im mund verschiedene strukturen wahr: kopfweh fühlt sich wie kleine pickelchen auf der zunge an, unterleibsschmerzen / bauchweh verursachen ein rauhes gefühl, zahnweh erzeugt rillen, plötzlich auftretende schmerzen (wie nach kleineren unfällen im haushalt) fühlen sich eklig glibberig an usw….
Ich weiss nicht, ob das auch eine art von synästhesie ist?
Heike meint
Hallo NBS,
ich kann mir vorstellen, dass das eine synästhetische Wahrnehmung ist.
Vor allem wenn z.B. die gleiche Art Kopfweh auch immer die gleiche Art von Pickelchen auf der Zunge auslöst.
Von Synnies wird im Übrigen öfter der Mundraum (Gaumen, Zunge..) bei der Wahrnehmung von „Strukturen“ genannt (mit Auslösern aus dem Riechen, Sehen, Hören o.Ä.).
Bei dir wäre der Auslöser wahrscheinlich also ein Schmerzreiz.
Viele Grüße,
Heike
(04.08.2023)
Carsten meint
Hallo,
Ich bin selbst ein chronischer Schmerz Patient. Habe im Verlauf meines eigen Leidensweges immer klarere Farb Wahrnehmungen meiner eigenen Schmerzen bekommen.
Diese hatten mich zuerst verwirrt, nun helfen sie mir jedoch, meine eigen Schmerzen besser einstufen zu können. Bin dankbar dafür!
Was mich jedoch verwundert hat ist, dass ich auch durch Berührung bei Anderen deren Schmerzen in Farben visualisieren kann.
Zuerst dachte ich, ich hätte ne Macke, aber das ist reproduzierbar.
Gibt es hier auch noch Menschen, die ähnliche Erfahrungen haben?
Heike meint
Hallo Carsten,
Du meinst, wenn anderen ein Schmerz zugefügt wird, du diesen Schmerz dann sehen kannst? Also eine Art Mirror-Pain –> zu Farbe? Oder Mirror-Touch + Farbe?
Oder meinst Du, wenn Du selbst jemanden berührst („Touch“), Du deren Schmerzen sehen kannst, wenn sie welche haben?
Ich kenne es, dass man mit der Zeit z.B. ein Gefühl für verschiedene Gewebsdichten bekommen kann und sich diese auch bei anderen (durch „Touch“) durch Training klar identifizieren lässt (das kennt auch jeder Physiotherapeut). Und dass sich durch Training die Schwelle zum Schmerz bei Druck erkennen lässt. Die kann ich inzwischen auch relativ gut als synästhetisches Muster/Struktur und in Farbe „sehen“.
Aber das ist – glaube ich – nicht das, was Du meinst, oder?
Neugierige Grüße,
Heike
(04.08.2023)
Sarah meint
Ich hätte eine Frage
Mein Sohn sagt manchmal das ihm die Farbe grün im Kipf weh tut oder um Kopf herumhüpft. Er macht dann auch die Augen zu um die Farbe nicht zu sehen. Hat das was mit Synästhesie zu tun?
LG
Heike meint
Hallo Sarah,
das kann ich so leider nicht beantworten.
Ist das nur mit Grün so? Und ist es vielleicht ein spezielles Grün?
Sind es bestimmte Situationen?
Wenn das etwas diffus ist, könnte es helfen, weiter zu forschen und mal schauen, ob es evtl. noch andere Hinweise gibt.
Hier habe ich einiges zusammengestellt, vielleicht hilft das weiter?
Viele Grüße,
Heike
(3.11.2023)
Konstance meint
Wenn mir ein Insekt ins Auge geflogen ist, habe ich einen leichten Kokosgeschmack auf der Zunge. Falls jemand ähnliche Erfahrungen gemacht hat, würde mich das sehr interessieren.
Schöne Grüße in die Runde!
Heike meint
Hallo Konstance,
da fällt mir etwas dazu ein, was das auch erklären könnte:
Die Schleimhäute des Körpers sind „verbunden“, was mit ihrer Entstehung nach der Befruchtung zu tun hat (wenn Dich das interessiert, findest Du beim tieferen Googeln sicher etwas unter z.B. „Keimblatt Schleimhäute“).
Theoretisch könnte man sich Knoblauch in die Augen reiben und müsste das dann auch im Mund schmecken (nicht dass ich das ausprobiert hätte oder als Experiment empfehlen würde..).
In Deinem Fall müsste es dann aber – wenn Dir das schön öfter aufgefallen ist – wahrscheinlich die gleiche Insektenart gewesen sein, was wiederum eher unwahrscheinlich ist. Oder schmecken unsere hiesigen Insekten evtl. alle etwas nach Kokos?! Oder es hat etwas mit ähnlichen Eiweißen von Insekten zu tun?
Das weiß ich leider alles nicht.
Ansonsten könnte das tatsächlich auf eine Verbindung von Schmerz –> Geschmack oder Berührung –> Geschmack hindeuten.
Hast Du ähnliche Situationen mit Schmerz oder Berührung?
Vielleicht kennen das auch andere LeserInnen?
Viele Grüße,
Heike
(8.3.2024)
Elisa meint
Sehr interessante Beschreibung. wie wäre es mit eine bildnerischer Umsetzung?
Heike meint
Hallo Elisa,
da sprichst du was an ;- )
Ich war/bin immer wieder dran gewesen, aber ich war eher immer etwas enttäuscht vom „2-dimensionalen“ Ergebnis.
Tatsächlich habe ich jetzt aber wieder angefangen, Eindrücke zu zeichnen und zu malen.
Mal schauen, wie sich das entwickelt.
Malst oder zeichnest du auch?
Viele Grüße,
Heike
(16.04.2024)