In diesem Beitrag geht es um Kinder mit synästhetischen Wahrnehmungen und wie ihre Eltern sie unterstützen können.
Informationen sind der Schlüssel
Wer sich mit Synästhesie beschäftigt (hat), weiß seine Wahrnehmungen oder die von anderen besser einzuordnen. Daher ist es toll, wenn Eltern bei bestimmten Anzeichen oder Äußerungen ihrer Kinder bereits von Synästhesie gehört haben. Und wenn sie auch offen dafür sind. Dadurch fühlen sich die Kids sicher, unterstützt und angenommen. Sie haben keine Hemmungen, sich mitzuteilen.
Dass in Bezug auf synästhetische Wahrnehmungen ein „Du spinnst doch“, „Hör‘ auf damit“, „Du bist verrückt“, „Du bist wohl nicht richtig im Kopf“, „Bist Du krank?“ usw. nicht gerade förderlich ist, steht wohl außer Frage.
Ein Kind lernt schnell, welche Äußerungen nicht gut aufgefasst werden. Es macht daraufhin lieber zu und wird vorsichtig. Es teilt seine Empfindungen nicht mit und geht insgeheim davon aus, dass etwas nicht mit ihm stimmt.
Eine positive Haltung der Eltern hilft deshalb sehr.
Hier also einige Tipps, wie Eltern ihren synästhetischen Kindern helfen können1:
Tipps für Eltern
1) Zuhören und offen sein
Das klingt zunächst natürlich banal. Aber wie schon eben erwähnt: Es macht einfach sehr viel aus, wenn sich Kinder in ihren Äußerungen ernst genommen fühlen. Und wenn sie mit ihren Wahrnehmungen sein dürfen, wie sie sind.
Ganz klar:
Es mag erst mal vielleicht befremdlich klingen, Dein eigenes Kind beiläufig von streitenden farbigen Buchstaben sprechen zu hören. Oder von zu vielen Dreiecken im Essen. Aber:
Zeige Interesse, frage beiläufig nach, lasse Dir die Wahrnehmung genauer beschreiben (aber bedränge Dein Kind nicht).
Darüber kannst Du Dir zum Beispiel dann bei Gelegenheit ein paar Notizen machen. Denn synästhetische Wahrnehmungen bleiben in der Regel langfristig bestehen. Das ist eins der typischen Merkmale von Synästhesie.
Das bedeutet, dass ein blauer Mittwoch auch nach langer Zeit noch ein blauer Mittwoch sein wird. Oder Geigentöne, die bitter schmecken, auch später noch mit hoher Wahrscheinlichkeit bitter schmecken.
Je jünger die Kinder sind, desto instabiler sind die synästhetischen Verbindungen allerdings noch. Während bei Erwachsenen auch nach längerer Zeit 90-100 % die entsprechende synästhetische Antwort auf einen Auslöser gleich ist, sind es bei 6-Jährigen etwa 50 %, bei 10-Jährigen schon etwa 70 %.
Hier lohnt es sich, einfach aufmerksam zuzuhören oder auch mal nachzufragen. Wenn zum Beispiel das „S“ jetzt Gelb ist und vor 5 Monaten auch schon Gelb war, zeugt das schon von einer Beständigkeit.
Mit Deinen Notizen bekommst Du auch einen Eindruck, um welche Art(en) von Synästhesie es sich bei Deinem Kind handeln könnte.
2) Selbst zum „Experten“ werden
Je mehr Informationen Dir vorliegen und je mehr Du Bescheid weißt, desto angemessener und ruhiger kannst Du reagieren.
Denn: Unbekanntes kann Angst machen, vor allem wenn es um die eigenen Kinder geht.
Das bedeutet nicht, dass Du nun umfangreiche Studien wälzen musst. Wenn Du Dich über grundlegende Fakten schlau machst und eine Vorstellung von der Wahrnehmungswelt von Synästhetikern bekommst, bist Du schon gut aufgestellt.
Auch Erfahrungsberichte anderer Synästhetiker verschaffen Dir einen guten Einblick. Du kannst Dir solche Berichte z.B. auf der Dokus & Filme-Seite anschauen, Dich über Synästhesie-Bücher informieren oder im Internet weiterforschen.
Damit weißt Du schon mehr als ein Großteil Deiner Mitmenschen. Und so kommen wir zum nächsten Punkt..
3) Das Umfeld mit Informationen versorgen
Informierte Eltern haben häufig das Bedürfnis, anderen die synästhetische Wahrnehmung ihrer Kinder zu erklären. Und sie stoßen mit dem Thema oft auf Unverständnis. Es ist nicht selten, dass den Eltern und auch Kindern nicht geglaubt wird.
Leider ist das Wissen um Synästhesie immer noch nicht so weit verbreitet, wie man es sich wünschen würde. Aber es ist empfehlenswert, dass Personen, die viel mit Menschen arbeiten, über Synästhesie Bescheid wissen. Dazu gehören allen voran Pädagogen, Psychologen, Ärzte, Erzieher, Heilpraktiker, Trainer..
Es gibt von der Deutschen Synästhesie-Gesellschaft (DSG) zwei sehr hilfreiche aktuelle Flyer als PDF zum Download:
(Danke an die DSG/L.E., dass ich die Flyer hier einstellen darf)
In den Flyern wird Synästhesie in knapper Form verständlich erklärt. Ein ideales Format, um es im Umfeld weiterzuverteilen und ein erstes Nachdenken mit dem Thema anzuregen.
Dabei sollte die Vermittlung von Informationen im Vordergrund stehen und nicht – wie es auch manchmal vorkommt – das Bedürfnis nach einer Art Sonderstatus für das eigene Kind. Wenn es spezielle Bedürfnisse Deines Kindes gibt, solltest Du aber darauf hinweisen.
Bei manchen Schwierigkeiten lohnt es sich nämlich, Synästhesie anzusprechen und gemeinsam mit den betreffenden Stellen (Schule, Kindergarten etc.) eine Lösung oder Verbesserung zu erarbeiten.
Das kann etwa die Erlaubnis sein, Buchstaben, Zahlen, Noten o.Ä. nicht in speziellen Farben malen oder benutzen zu müssen. Viele Schulen verwenden zum leichteren Lernen farbige Magnete, bzw. Buchstaben zum Anfassen und Anordnen.
Es kann Stress auslösen, wenn z.B. vorgegebene Farben mit den synästhetischen Farben von Kindern (mit Farb-Graphem-Synästhesie) nicht übereinstimmen. Oder die Kids brauchen für diese Aufgaben etwas länger, weil sie jedes Mal gegen „ihre Farben“ arbeiten müssen (siehe auch den Beitrag Nachteile der Synästhesie).
Wenn sie ihre eigenen Farben nutzen dürfen, kann das wiederum zum starken Vorteil werden.
4) Selbstbeobachtung
Da Synästhesie gehäuft in Familien auftritt, gibt es eine Wahrscheinlichkeit, dass weitere Mitglieder Deiner Familie ebenfalls Synästhetiker sein könnten.
Bist Du als Elternteil vielleicht selbst Synästhetiker? Eventuell mit anderen Synästhesieformen als Dein Kind? Oder kennst Du Verwandte, die sich in der Vergangenheit ähnlich geäußert haben oder die bekannt sind für „synästhetische Beschreibungen“?
Befrage doch mal Deine Familie und Verwandtschaft zu diesem Thema. Vielleicht entdeckst Du noch jemanden mit Synästhesie.
Denn auch viele Erwachsene wissen heutzutage nicht, dass sie zu den Synästhetikern gehören. Einfach weil ihre Wahrnehmung für sie so normal ist und sie davon ausgehen, dass jeder andere die Welt genauso wahrnimmt. Bei den vielen Synästhesiearten kann man schließlich schon mal den Überblick verlieren ; -)
Falls Du in Deiner Verwandtschaft jemanden entdeckst, hast Du damit idealerweise gleich einen nahen Ansprechpartner für einen Austausch, der für einen Synnie und Angehörige in der Regel sehr befreiend ist. Damit wären wir beim nächsten Punkt:
5) Kontakt zu anderen Synnies suchen
Es hilft ungemein, sich mit anderen Synästhetikern austauschen zu können. Ich selbst gehe sehr gerne zu Synnie-Treffen. Es gibt auch wirklich jedes Mal etwas, bei dem ich mit anderen irgendwann Tränen lachen muss oder wir wieder etwas Synnie-Typisches herausgefunden haben.
Wenn man von etwa 4-5 % Synästhetikern in der Bevölkerung ausgeht, also von einem Synnie unter knapp 23 Personen, dann dürfte es etwa einen Synästhetiker pro Schulklasse geben. Es lohnt sich also, das Thema einmal in der Schule anzusprechen. Vielleicht sitzt ja ein Synnie in der Klasse oder Parallelklasse?
Ansonsten haben wir durch das Internet mittlerweile gute Möglichkeiten, miteinander in Kontakt zu kommen.
Das kann z.B. über Vereine, Online-Foren, Mailinglisten und Soziale Medien zum Thema Synästhesie sein.
Hier ein paar Vorschläge:
- Die Deutsche Synästhesie-Gesellschaft (DSG) (!!)
- Die Facebookgruppe der DSG
- „Synesthesia-List“ = Mailingliste von Sean A. Day (Auf Englisch)
- Regionaltreffen: Die DSG lädt regelmäßig zu Regionaltreffen in verschiedenen Teilen Deutschlands ein. Dort können Interessierte kostenlos teilnehmen.
6) Vorteile der Synästhesie nutzen
Synästhesie lässt sich oft sehr gut als Gedächtnisstütze und zum Erinnern von Fakten nutzen. Gerade wenn für die Schule viel gelernt werden muss, bietet es sich an, bewusst mit seiner Synästhesie zu „arbeiten“.
Es gibt viele Wege, seine Synästhesie kreativ auch zum Lernen einzusetzen. Falls z.B. Synnies Zahlen und Buchstaben in Farben sehen, lassen sich Jahreszahlen oder Vokabeln gut zusammen mit den Farben lernen.
Ich selbst habe früher einige asiatische Schriftzeichen anhand des Geräuschs gelernt („Rhythmusbild“), die mein Stift beim Schreiben auf Papier gemacht hat.
Der Synästhetiker Daniel Tammet „läuft“ Zahlenreihen wie in einer Art mentalen Landschaft ab.
Eltern könnten gemeinsam mit dem Kind versuchen, eine kreative Lernmethode zu entdecken. Auch wenn das anfangs vielleicht etwas mehr Zeit kostet: Es lohnt sich.
Weitere Vorteile zur Synästhesie habe ich übrigens hier in diesem Beitrag genauer beschrieben.
Kinder erwähnen ihr synästhetisches Erleben oft beiläufig im Alltag. Und so darf es auch aufgenommen werden. Interessiere Dich dafür, aber mache nicht zuviel Aufhebens darum.
Habt Spaß damit, denn Synästhesie kann viel Spaß machen!
Noch eine wichtige Anmerkung:
In seltenen Fällen kann tatsächlich eine Erkrankung die Ursache für veränderte Wahrnehmungen sein. Um kein Risiko einzugehen, schadet es nicht, einen Arzt zu konsultieren. Am besten natürlich jemanden, der sich mit Synästhesie auskennt oder zumindest einzuordnen weiß.